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Joe Ross: Meine 58 Jahre als Trader (2)
Teil 2 des Interviews mit Trader Joe Ross. „Wie zuvor schon erwähnt, wurde ich erst 1981 aktiver Daytrader. Anfangs konnte man tatsächlich den Trend auf 1-Minuten-Intraday-Charts traden.“ „Mit Ausnahme der zwölf Jahre, in denen ich wie ein Verrückter als Daytrader arbeitete, dauert meine übliche Trading-Zeit weniger als 20 Minuten und meine Vorbereitungszeit nicht mehr als 90 Minuten.“ Quelle: Traders' Mag.
Joe Ross
Joe Ross ist eine Trading-Legende. Seit nunmehr – halten Sie sich fest – 58 Jahren ist er an der Börse aktiv und verdient sich hier seinen Lebensunterhalt. Mit seinem fl exiblen Handelsstil hat er allen Höhen und Tiefen der Märkte getrotzt und dabei einen risikoarmen Ansatz genutzt, der dauerhafte Gewinne generiert.
- Sie haben die Konzepte „The Law of Charts“ und „Traders Trick Entry“ entwickelt. Woraus besteht das Wesen dieser Konzepte?
Joe Ross: „The Law of Charts“ besagt, dass in allen Charts, die eine Reihe von Werten abbilden, 1-2-3-Hochs und -Tiefs, Ross-Haken und Konsolidierungen entstehen können. Darüber hinaus sind eben diese Muster, die von Menschen getradet werden, das Ergebnis menschlicher emotionaler Handlung und Reaktion auf die Bewegung von Kursen, auch wenn jene Handlungen das Ergebnis eines mechanischen Handelssystems sind. Wie sehr dies zutrifft, kann man beim sogenannten High Frequency Trading erkennen. Ohne dass der Mensch eingreift, soll das Computerprogramm menschliche emotionale Reaktionen auf falsche Erwartungen an die Kursbewegung hervorrufen. Mit anderen Worten, der Hochfrequenzhandel ist das erste mechanische Traden, das den Versuch startet, Trader soweit zu bringen, dass sie emotional auf eine erwartete Kursbewegung reagieren, die eigentlich nie eintritt. Die Emotion hinter jedem mechanischen Handelssystems ist die Gier – genauso wie bei jedem einzelnen Trader, der ohne ein mechanisches System emotional tradet. Wenn die Gier die Handlung bestimmt, dann bestimmt die Angst die Reaktion. Unabhängig davon, wie die Emotion ausgelöst wird – ob maschinell oder durch einen menschlichen Impuls –, werden sich die Kurse immer in Richtung Angriff oder Flucht bewegen.
Das Setup namens „Traders Trick Entry“ ist eine Möglichkeit, das umzusetzen, was durch das „Law of Charts“ definiert wurde. In Bild 1 wollen wir mit dem „Traders Trick“ in einen Trade vor dem Ausbruch (dem Bruch) des Ross-Hakens einsteigen, der sich nach dem Ausbruch aus der Konsolidierung gebildet hat.
Bild 1. Traders Trick Entry von Joe Ross. Der Traders Trick Entry (TTE) wurde von Joe Ross mit dem Ziel entwickelt, in einen bevorstehenden Ausbruch einzusteigen, bevor der eigentliche Ausbruch erfolgt. Der TTE befolgt einfache Regeln. Zunächst braucht man eine 1-2-3-Formation, die nicht in einer Konsolidierung erfolgen darf, sondern am Ende eines Trends oder einer Swing-Bewegung auftritt. Der Grund dafür ist, dass 1-2-3-Bewegungen innerhalb einer Konsolidierung keine Aussagekraft haben, da diese Bereiche sie in beiden Richtungen aufweisen. Sobald ein Punkt 2 oder ein Ross-Haken auf dem Chart sichtbar wird, sollte man Vorbereitungen für die Platzierung einer Order treffen, die einen Tick über dem Hoch des zweiten folgenden Kurs-Bars liegt. In dem Maße, wie die Kurse sich ständig weiter entfernen, ziehen Sie Ihre Einstiegs-StoppOrder bis zu einem Tick über das Hoch des dritten Kurs-Bars nach. Indem Sie für genügend Raum zwischen Ihrem Einstiegspunkt und dem früheren Hoch sorgen, können Sie zumindest „kostenlos“ traden, wenn der Ausbruch misslingt. Gelingt der Ausbruch hingegen, werden Sie gut bezahlt.
- Was hat es mit der Überraschung auf sich, die Sie vorhin bereits erwähnt hatten?
Joe Ross: Bild 1 ist kein Kurs-Chart. Der Chart wurde von einem Zufallszahlengenerator erstellt. Wenn es jemanden gäbe, der die andere Seite Ihres Trades übernehmen würde, könnten Sie an einem Markt traden, den Zufallszahlen geschaffen haben. Es wäre dann ein zu 100 Prozent rein technischer Markt. Es gäbe keine Fundamentaldaten zu berücksichtigen, und es wäre unmöglich, einen solchen Markt zu manipulieren. Jeden Tag würden die Zufalls- zahlen aus einer neuen Quelle generiert werden. Niemand könnte vorzeitig das Ergebnis eines Trades kennen.
- Welche anderen Setups und Ideen haben Sie im Laufe der Zeit genutzt?
Joe Ross: Darf ich an dieser Stelle eine kleine Korrektur anbringen, was Setups betrifft. Weder die 1-2-3-Formation, noch der Ross-Haken sind wirklich ein Setup. Sie sind nur dazu da, das Kursverhalten zu ermitteln oder zu beschreiben. Die 1-2-3-Formation und der Ross-Haken identifizieren einen möglichen Trendwechsel. Ein Setup ist etwas ganz anderes und muss an das angepasst werden, was zuvor identifiziert wurde. Beispielsweise kann eine 1-2-3-Formation oder ein Ross-Haken sehr erfolgreich mit dem Setup getradet werden, das ich den „Traders Trick Entry“ nenne. Wenn man den „Traders Trick“ richtig tradet, bietet er eine hohe Trefferquote.
Da das meiste Geld nunmal gemacht wird, wenn sich die Kurse bewegen, bin ich Momentum-Trader. Das größte Momentum entsteht bei einem Ausbruch. Mit dem „Traders Trick“ aber kann ich schon vor einem Ausbruch einsteigen.
Denken Sie mal darüber nach: Man braucht mehr Momentum, um aus dem Hoch oder Tief eines Vormonats auszubrechen als aus einem zweiminütigen Hoch oder Tief. Und man braucht mehr Momentum, um aus einem wöchentlichen Hoch oder Tief auszubrechen als aus einem Tageshoch oder -tief. Wenn ich ein „Traders Trick“Setup vor dem Ausbruch aus einem Hoch oder Tief in irgendeinem Zeitrahmen finden kann, weiß ich, dass sich hinter dem Ausbruch das Momentum verbirgt. Hoffentlich reicht dies aus, um Punkt Nummer 2 einer 1-2-3-Formation oder die Spitze eines Ross-Hakens zu erreichen.
- Mit welchen Instrumenten und Strategien haben Sie in der Vergangenheit größtenteils gehandelt, und wie gut sind Sie mit diesen gefahren?
Joe Ross: Mein Leben als Trader begann mit RohstoffFutures, wobei ich hier mit langfristigen Trends handelte. Wenn ich keinen Trend erkennen konnte, tradete ich eben nicht. Für diesen Entschluss war eine Menge Disziplin erforderlich. Trades waren selten, da Trendmärkte selten waren. Begann jedoch erstmal ein Markt einen Trend zu entwickeln, konnte man sich darauf verlassen, dass dieser Trend viel länger anhielt, als es heutzutage bei Trends geläufig ist. Wenn ich einen Trend erwischte, hielt ich mithilfe von Trailing-Stopps so lange wie möglich an ihm fest.
Da es so wenige Trades gab, fing ich an, mit Spreads zu handeln. Durch diese Erweiterung meines Repertoires erhielt ich viel mehr Möglichkeiten zum Traden. Zunächst handelte ich mit Intra-Market-Spreads, bis ich schließlich zu Inter-Market-Spreads überging. Dabei stellte ich fest, dass die Spreads oft dann einen Trend aufwiesen, wenn die zugrundeliegenden Märkte relativ unverändert waren.
Wie zuvor schon erwähnt, wurde ich erst 1981 aktiver Daytrader. Anfangs konnte man tatsächlich den Trend auf 1-Minuten-Intraday-Charts traden. Aber in dem Maße, in dem sich immer mehr Menschen in die Märkte drängten, wurden die Märkte auch immer weniger aufgewühlt und es entwickelten sich immer weniger Trends. Zur Jahrhundertwende wechselte ich schließlich zum Scalping, und zwar an den – meiner Meinung nach – vier besten Märkten fürs Daytrading als Scalper: Rohöl, Euro, Russell 2000 und Gold. Bei all diesen Märkten scalpe ich Ausbrüche, indem ich schon vor dem Ausbruch einsteige, dann unter Einsatz eines festen Geldbetrags trade und schließlich wieder aussteige.
- Heute schreiben Sie Optionen auf Aktien. Warum sind Sie auf diese Strategie übergegangen?
Joe Ross: Eigentlich fing ich schon mit dem Optionshandel auf Aktien an, nachdem ich einen Mann kennenlernte, der von sich behauptete, er erwirtschafte 50 000 Dollar im Monat mit dem Optionshandel auf Aktien. Ich traf den Mann in einem Kurort. Er hat mir nie gesagt, was er eigentlich beruflich machte, und ich war mir nicht sicher, ob ich ihm überhaupt glauben konnte. Aber er hat mich definitiv neugierig gemacht.
Ich hatte zuvor mit Optionen auf Futures gehandelt, aber nie auf Aktien. Aber als ich mich näher damit beschäftigte, erkannte ich langsam die enormen Vorteile, die der Handel mit Aktienoptionen mit sich bringt. 2007 fing ich dann mit dem Handel mit Aktienoptionen an, handelte aber gleichzeitig weiterhin als Daytrader mit Futures und war mit Aktien und ETFs investiert (Anmerkung der Redaktion: ETFs sind Exchange Traded Funds, zu Deutsch börsengehandelte Indexfonds. Mit ETFs lassen sich ganze Indizes/Sektoren/Regionen wie eine Aktie handeln). Für mich waren Aktien stets etwas für die Geldanlage und nichts für das Traden. Und der Handel mit Futures ist eben viel spannender und lukrativer als der Aktienhandel. Andererseits weisen Aktienoptionen einige interessante Merkmale auf, die den Optionen auf Futures fehlen.
m April 2015 feierte ich meinen 80. Geburtstag und aus diesem Anlass beschloss ich, künftig zwar weiterhin Trading-Kurse zu geben (das ist nun mal meine Lebensaufgabe), aber als Trader nur noch mit dem Verkauf von nackten Puts in Erscheinung zu treten und das Ganze mit einer Strategie namens „Instant Income Guaranteed“.
Ich unterrichte weiterhin Strategien für den Aktien-, Futures- oder ETF-Handel, die ich auch schon über Jahre hinweg unterrichte. Ich möchte diese auch weiterhin den Tradern beibringen, da sie einfach funktionieren. Sie basieren darauf, wie Märkte wirklich funktionieren, also erwarte ich auch, dass sie noch so lange funktionieren, wie die Märkte gehandelt werden.
- Können Sie uns einige Details zur Funktionsweise Ihrer Short-Put-Strategie verraten?
Joe Ross: Als ich zum ersten Mal mit dem Aktienoptionshandel angefangen habe, schrieb ich ausschließlich gedeckte Call-Optionen. Das hat allerdings im Jahr 2008 nicht besonders gut geklappt. Ich bin zwar ungeschoren davon gekommen, weil ich bei der Aktienauswahl mit größter Sorgfalt vorgegangen bin und Aktien von Weltmarktführern, die Dividenden zahlten, den Vorzug gab, hatte aber am Ende jede Menge Kapital, das fest in Aktien investiert war. Zum Glück hatte ich aber noch genügend Liquidität, um die geradezu unverschämt hohen Put-Prämien mitzunehmen, die es 2008 gab. Da ich mich in der Versicherungsbranche sehr gut auskannte, erkannte ich allmählich, dass beim Optionshandel auf Aktien am meisten mit dem Handel von ungedeckten Put-Optionen zu holen ist.
Vor Jahren hat die Regierung der Vereinigten Staaten Menschen die Möglichkeit gegeben, sich gegen einen Rückgang der Aktienkurse abzusichern, indem sie den Weg dafür freimachte, dass man gegen fallende Kurse eine Versicherung abschließen konnte. Auf diese Weise konnten Versicherer ganz legal Policen gegen Kursverfall verkaufen.
Wie bei jeder Art von Versicherung verhält es sich auch bei Optionen so, dass der Vorteil auf der Seite des Verkäufers liegt, da die meisten Optionen wertlos verfallen. Dennoch stellen Put-Optionen eine Win-Win-Situation sowohl für Käufer als auch für Verkäufer dar. Wer eine Kursrückgangsversicherung abschließt, hofft, dass er sie nie braucht, und genau das gilt auch für den Versicherer. Der Verkäufer ist immer in der Lage, die Optionsprämie zu behalten, und zwar unabhängig davon, ob die PutOption jemals ins Geld läuft. Ich kann Ihnen sagen, dass der Verkauf ungedeckter (nackter) Put-Optionen für mich dem „Heiligen Gral“ des Handels am nächsten kommt.
- Können Sie uns beschreiben, wie ein typischer Arbeitstag für Sie als Trader aussieht, das heißt vom Aufstehen morgens bis zum Ende des Arbeitstages am Abend?
Joe Ross: Mit Ausnahme der zwölf Jahre, in denen ich wie ein Verrückter als Daytrader arbeitete, dauert meine übliche Trading-Zeit weniger als 20 Minuten und meine Vorbereitungszeit nicht mehr als 90 Minuten.
Ich bin extremer Frühaufsteher und werde oft schon nach nur drei bis vier Stunden Schlaf wach. Mein Tag beginnt dann sehr früh. Ich glaube fest daran, dass es wichtig ist, eine persönliche Beziehung zu Gott zu haben, weshalb ich in der Bibel lese, bete und darüber nachdenke, wie ich meinen Tag gestalten soll. Ich gehe dann meine oftmals mehr als 200 E-Mails durch, lese sie schnell, nehme ein kleines Frühstück ein, dusche und ziehe mich an. Etwa 90 Minuten vor Eröffnung der Märkte schaue ich mir an, was sich über Nacht an den Börsen getan hat. Dazu lese ich Charts, so wie einige Leute die Zeitung lesen. Meine Welt dreht sich in hohem Maße um das, was ich in den Charts zu sehen bekomme. Als ich mit Futures gehandelt habe, richtete sich mein Blick auf Gold, den Euro, Rohöl, und den Russell 2000. Aus Gewohnheit schaue ich mir diese und andere Futures immer noch an, um zu sehen, was da gerade los ist. Ich erstelle dann meinen Plan nach den Vorgaben, die ich vor mir sehe. Oft dauern die Trades ein bis zwei Minuten, aber manchmal sitze ich auch bis zu 90 Minuten lang fest. Das ist aber auch das Maximum für mich, länger als 90 Minuten am Stück habe ich niemals für einen Trade oder für das Chart-Studium aufgewandt. Egal, ob ich gewinne oder verliere, ich mache dann Schluss mit dem Handelstag.
Ganz anders verhält es sich mit dem Verkauf von nackten Put-Optionen. Da gibt es nämlich im Bereich Trading wenig zu tun. In der Regel schaue ich mir den Chart der zugrundeliegenden Aktien erst an, wenn der Markt schon 30 Minuten oder länger geöffnet ist. Den Rest des Tages kümmere ich mich um persönliche Angelegenheiten, beantworte E-Mails, schreibe Artikel oder koche für meine Frau und mich.
- Welche Methode halten Sie beim Risiko- und Money-Management für angebracht?
Joe Ross: Den meisten Menschen geht es immer wieder um das Chance/Risiko-Verhältnis. Ganze Bücher sind über dieses Konzept bereits geschrieben worden. Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Trader oder Anleger zumindest den Versuch unternehmen sollte, das Risiko bei einem Trade zu ermitteln. Aber ich bin ebenso fest davon überzeugt, dass es unmöglich ist, das Risiko hundertprozentig zu kennen. Dafür gibt es einfach zu viele Dinge, die schief gehen können. Wie viele von denen, die beispielsweise bei MF Global getradet haben, waren sich über das entsprechende Risiko im Klaren? Wie vielen ist das Risiko beim Traden mit einem Forex-Broker (Anmerkung der Redaktion: Forex ist die Abkürzung für Foreign Exchange, zu Deutsch außerbörslicher Devisenmarkt) bewusst? Können Sie mir das Trading-Risiko bei einem Flash-Crash beziffern? Noch schwieriger ist es, die Chance beim Trading zu ermitteln. Wie kann es überhaupt jemanden geben, der genau dazu in der Lage ist? Ganz abgesehen von großen Katastrophen, die alle Erfolgschancen auslöschen. Was ist mit den einfachen Dingen, wie schlechter Ausführung, Slippage, Provisionen und Gebühren? Wenn Sie einmal ernsthaft darüber nachdenken, ist das Chance/RisikoVerhältnis nichts als heiße Luft. Wirklich wichtig und sicherlich valider ist das Gewinn/Verlust-Verhältnis. Wenn ich anhand meiner konkreten Trades festgestellt habe, dass ich in 80 Prozent aller Fälle gewinne, ist es dann nicht egal, ob ich zwei Dollar riskiere, um einen Dollar zu verdienen? Wenn ich weiß, dass ich 80 Dollar verdienen kann und dabei nur 20 Dollar verliere, sollte ich mir dann Sorgen um das Chance/Risiko-Verhältnis machen?
- Können Sie sich noch an große Verlust-Trades erinnern, bei denen die Märkte Ihnen Lektionen erteilt haben, die Sie nie vergessen werden?
Joe Ross: Ja, ich habe auch schon einige große Verluste einstecken müssen. Der größte Verlust ist mir widerfahren, als ich gerade unterwegs war und die Märkte nicht im Auge behalten konnte. Auf anderen Reisen habe ich auch noch weitere Verluste erlitten, sodass ich versuche, nur noch auf Reisen zu gehen, wenn ich keine Positionen offen habe. Mein größter Verlust belief sich auf 45 000 Dollar in etwa 20 Minuten und traf mich, als ich gerade jemanden coachte und nicht auf den Trade aufpassen konnte, in dem ich mich zu diesem Zeitpunkt befand. Traden Sie also ausschließlich dann, wenn Sie sich voll und ganz auf Ihre Positionen konzentrieren können. Ablenkungen können nämlich sehr teuer werden.
- Was würden Sie Neueinsteigern empfehlen?
Joe Ross: Ich möchte jetzt keine Liste von grundlegenden Dingen aufzählen, über die man sich als Neueinsteiger im Klaren sein sollte. Das alles kann man schließlich im Internet sowie in Büchern und Zeitschriften nachlesen. Stattdessen würde ich gerne ein paar Dinge nennen, auf die Sie als Neueinsteiger üblicherweise nicht stoßen. Arbeiten Sie mit einem Mentor zusammen, der Ihr Trading begleitet. Die Kosten, die Sie dafür aufbringen müssen, sind weit geringer, als wenn Sie alles auf eigene Faust machen wollen. Vergessen Sie Ihren falschen Stolz und holen Sie sich Hilfe. Wenn Sie sich keinen Mentor leisten können, dann haben Sie beim Traden nichts zu suchen. Warum nicht? Weil Sie dann nämlich gleich unterkapitalisiert anfangen. Gerade am Anfang brauchen Sie jedoch jemanden, der Sie jeden Tag an die Hand nimmt. Vergessen Sie Indikatoren und Candlesticks, aber lernen Sie, den Chart zu lesen. Alle Indikatoren inklusive Candle- sticks lenken nur von dem ab, was tatsächlich mit den Kursen geschieht. Bedeutet das dann, dass man Indikatoren nie nutzen soll? Nein, das kann man schon, aber erst dann, wenn man auch gelernt hat, einen Chart zu lesen.
Vermeiden Sie Vorurteile. Farben lenken Sie nur ab und wirken mental verzerrend. Man denkt eben an Minus, wenn man rot sieht, und an Plus, wenn man grün sieht. In China dagegen ist es genau umgekehrt. Man kann sich Farben und Candlesticks erst dann gönnen, wenn man ein bewährter erfolgreicher Trader ist. Als ich mit dem Traden anfing, gab es überhaupt keine Candlesticks. Und nicht nur das, man konnte sie auch gar nicht erstellen. Warum nicht? Weil man gar nicht bei der Börseneröffnung dabei sein durfte, wenn man an der Börse keinen Sitz sein Eigen nannte oder nicht einen solchen gemietet hatte. Die Eröffnungskurse galten quasi als geschütztes Informationsgut, die ausschließlich Mitgliedern der Börse vorbehalten waren. Erst Mitte der 1980er Jahre fingen alle Software-Programme damit an, die Eröffnungskurse zu zeigen. Wenn man die Farbe aus einem Candlestick entfernt, weiß man überhaupt nicht, wo die Eröffnungs- und Schlusskurse tatsächlich sind. Ja, und ohne den Eröffnungskurs kann man keinen Candlestick darstellen.
Versuchen Sie sich möglichst vorzustellen, was da abläuft, wenn Sie einen Chart im Tagesverlauf beobachten oder was bereits geschehen ist, wenn Sie sich einen Chart am Ende eines Handelstages ansehen. Sie werden erstaunt sein, was Sie letztendlich allmählich sehen. Die Geschichte, die ein Chart offenbart, hat die Form von Mustern. Lernen Sie also, Kursmuster zu erkennen.
Verschwenden Sie Ihre Zeit, Ihre Energie und Ihr Geld nicht mit dem, was vor vielen Jahren passiert ist. Die Märkte waren nämlich damals anders. Sie müssen sowohl nach vorne testen als auch backtesten. Sie sind dabei auf der Suche nach solchen Ereignissen, die einen hohen Prozentsatz an Gewinnen aufweisen, sodass Sie sich nicht um Chance/ Risiko-Konzepte kümmern müssen. Lernen Sie, Geduld zu haben. Lassen Sie sich niemals einen Trade aufzwingen. Warten Sie geduldig auf solche Trades, die genau richtig für Sie sind. Und wenn Sie diese nicht sehen, lassen Sie die Finger davon und beschäftigen Sie sich anderweitig.
- Was mussten Sie überwinden oder was aufgeben, um als Trader Erfolg zu haben?
Joe Ross: Sehr gute Frage! Drei Dinge musste ich aufgeben und überwinden – mein Ego, mein Ich und mich selbst. Ich musste eben ein anderer Mensch werden, und das war keine einfache Sache. Denn das hieß, dass ich eine ganze Menge Eigenschaften überwinden musste, als da waren: Stolz, Mangel an Selbstvertrauen, Ungeduld, (Geld-)Gier, Egoismus, Furcht, Intoleranz, Unzufriedenheit und Angst. Durch Selbstdisziplin, Selbstbeherrschung, Bescheidenheit, Vertrauen in mich und mein Wirken, Hilfsbereitschaft, Akzeptanz dessen, was der Markt mir gegeben hat, Freude anstelle von Angst und Liebe zum Traden anstelle von Geldgier lernte ich, die schlechten Eigenschaften zu ersetzen.
Ich spreche überhaupt viel von Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung. In meinen Augen sind sie keineswegs ein und dasselbe. Selbstdisziplin beinhaltet alles, was ich mache, um mich aufs Traden vorzubereiten. Und dazu gehören Planung, Organisation, Analyse, Tests, Risiko-Einschätzung und Entscheidungen im Bezug auf das Money-Management – eben jene Dinge, mit denen Sie sich auf das Traden vorbereiten.
Selbstbeherrschung praktizieren Sie ständig, sobald Sie in einen Trade eingestiegen sind. Neben einem solchen eher persönlichen „Management“ ist das Managen des Trades die wichtigste Sache in Ihrem Leben als Trader. Dieses „Trade-Management“ umfasst alle Taktiken, die Sie zur Umsetzung Ihrer Strategie anwenden. Das bedeutet, Gewinne mitzunehmen, wenn sie denn da sind (Scalping, wenn das Ihr Stil ist), Verluste schnell zu begrenzen, einen Stopp nachzuziehen und das zu traden, was Sie sehen, und nicht das, was Sie denken. Nur mit Trade-Management wird nun mal Geld verdient – oder verloren. Und genau da brauchen Sie auch die meiste Selbstbeherrschung.
- Gibt es für Sie jemanden, zu dem Sie aufschauen?
Joe Ross: Ich hatte zwei Mentoren. Einer der beiden war mein Großonkel. Er bestand eisern auf Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung, und er hat mir beigebracht, meinen eigenen Handelsstil zu entwickeln – und zwar eingebettet in die Gesetzmäßigkeiten des Marktes, wie er sie zu der Zeit, in der ich bei ihm war, wahrgenommen hat. Er hat mir auch beigebracht, flexibel und bereit zu sein und mich den Gegebenheiten des Marktes anzupassen. Und sein bester Rat? „Suche immer nach Wegen, kein Geld zu verlieren; die Gewinne können schon für sich selbst sorgen.“
Mein zweiter Mentor war das Buch der Sprüche Salomons, das Teil der Bibel ist. Mithilfe dieses Buchs habe ich gelernt, richtig zu denken und die Weisheit zu suchen.
- Welchen anderen Beruf hätten Sie gewählt, wenn Sie nie vom Traden gehört hätten?
Joe Ross: Es wäre etwas gewesen, was mit Fitness-Training, Ernährung und Gesundheit zu tun hat. Als Jugendlicher habe ich Bodybuilding und Gewichtheben praktiziert und auch mehrere Wettbewerbe im Gewichtheben gewonnen. Ich war damals generell jemand, der gerne Sportarten ausübte, die viel mit dem Körper zu tun hatten. Entsprechend habe ich mich jahrelang damit befasst, möglichst viel über den menschlichen Körper zu lernen. Als ich 13 Jahre alt war, konnte ich schon jeden Muskel benennen, und bereits als Teenager lernte ich medizinische Massage. Irgendwann habe ich sogar angewandte Kinesiologie studiert und eine kostenlose Klinik für all diejenigen betrieben, die sich keine professionelle Pflege leisten konnten.
- Haben Sie neben dem Traden noch eine andere große Leidenschaft?
Joe Ross: Ja. Ich glaube an die Heilkraft Gottes. Ich habe sieben Jahre in Heilungsräumen verbracht, in denen Menschen durch das Gebet geheilt werden. Ich habe persönlich viele übernatürliche Heilungen erlebt, einschließlich meiner eigenen im Jahr 1987. Ich bin kein religiöser Mensch in dem Sinne, dass ich einer bestimmten Konfession angehöre, aber ich habe nach wie vor eine persönliche Beziehung zu Gott. Er ist in meinem Leben und in meinem Trading ständig präsent. Jede echte Weisheit, über die ich verfüge, verdanke ich der Lektüre der Bibel.