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Joe Ross: Meine 58 Jahre als Trader (1)

Trader Joe Ross.

Joe Ross ist eine Trading-Legende. Seit nunmehr – halten Sie sich fest – 58 Jahren ist er an der Börse aktiv und verdient sich hier seinen Lebensunterhalt. Mit seinem flexiblen Handelsstil hat er allen Höhen und Tiefen der Märkte getrotzt und dabei einen risikoarmen Ansatz genutzt, der dauerhafte Gewinne generiert. Joe Ross ist der Schöpfer des berühmten „Ross-Haken“-Setups und hat zwölf Bücher sowie unzählige Artikel und Aufsätze über den Börsenhandel geschrieben. Seine Bücher wurden allesamt Klassiker und in viele Sprachen übersetzt. Darüber hinaus betreibt er eine Webseite, über die er seine Trading-Methoden vermittelt und Trader mit seinem Wissen versorgt. Im Interview bringt uns Joe Ross seine Herangehensweise an die Märkte näher, und teilt mit uns seine im Laufe der Zeit gewonnenen Erkenntnisse und seine langjährige Praxis als Trader.

Joe Ross:

Joe Ross

  • Herr Ross, wir können eigentlich nur raten, welch ungeheuren Erfahrungsschatz Sie im Laufe der Jahre angesammelt haben. Aber fangen wir einfach damit an, wie alles begann. Wann haben Sie überhaupt zum ersten Mal von den Märkten und dem Traden gehört, und wie kam es, dass Sie davon gefesselt wurden?

Joe Ross: Als ich 14 Jahre alt war, war es noch üblich, dass die Mutter zu Hause blieb und der Vater arbeiten ging und das Geld nach Hause brachte. Allerdings war dies nicht immer der Fall – so war der Vater meines besten Freundes während des Arbeitstages in der Regel zu Hause. Meine Vermutung war damals, dass er wohl irgendein gesund
heitliches Problem haben musste – also dass er arbeitsunfähig war. Dabei lebten mein Freund und seine Familie aber alles andere als in ärmlichen Verhältnissen, wohnten sie doch in einem Stadtviertel der oberen Mittelschicht und fuhren ein neues Auto. Ich weiß noch, wie ich ihn gefragt habe: „Kann dein Vater nicht arbeiten? Warum ist er immer zu Hause?“ Und seine Antwort war: „Nein. Ihm geht‘s gut. Er arbeitet hier, und zwar in dem Zimmer mit den Glastüren.“ – „Ja, aber was macht er denn da?“ – „Keine Ahnung. Aber du kannst ihn ja selbst fragen.“ Also klopfte ich an die Glastür und fragte: „Was für eine Arbeit machen Sie da?“ Und als Antwort kam: „Ja, wenn du es genau wissen willst, komm doch einfach rein, und ich zeig es dir.“ Der Vater meines Freundes ist dann zu einem Wandschrank gegangen, hat eine Papierrolle hervorgeholt und breitete diese auf einem Zeichentisch aus. Er sagte: „Ich arbeite mit diesem Chart und anderen solchen Bildern.“ Ich erkannte aber darauf nur jede Menge Dinge, die wie Striche aussahen, und stellte deswegen die Frage: „Sie beschäftigen sich damit, Striche zu zeichnen?“ – „Nein, diese Striche stehen für Aktien.“ – „Was ist denn eine Aktie? Sieht eine Aktie wie ein Strich aus?“ Er beschrieb dann, worum es sich bei Aktien handelte, und erklärte mir, dass die Striche für die Aktienkurse eines Unternehmens standen. Mich fasziniert es unheimlich, dass er mit dem, was sich als ganz simples Balken- diagramm entpuppte, Geld verdienen konnte.

Damals waren meine Eltern beide berufstätig. Jeden Tag mussten sie sich durch den Berufsverkehr kämpfen, der ziemlich heftig war. Der Vater meines Freundes konnte dagegen ein viel bequemeres Leben führen. Als mir das klar wurde, fasste ich direkt den Entschluss, genau das auch zu lernen.

  • Könnten Sie die wichtigsten Stationen in Ihrer 58-jährigen Karriere als Trader beschreiben und erklären, wie sich alles entwickelt hat?

Joe Ross: Als der Vater meines Freundes erkannte, dass ich echtes Interesse am Traden hatte, nahm er mich mit in ein Büro der Pacific Coast Stock Exchange, wo ich in der Galerie saß und die Menschen beim Traden beobachten konnte. Das war ein faszinierendes Erlebnis. Ich investierte in meine erste Aktie und hielt diese bis ich 20 Jahre alt war. Innerhalb weniger Tage machte ich schon Verlust mit dieser Aktie, hielt den Verlust-Trade aber so lange, bis das Unternehmen am Ende von der Bildfläche verschwand. Ich bin dankbar für diese Lektion: Trennen Sie sich von Aktien, mit denen Sie Geld verlieren.

Mit 17 ging ich dann zur US-Kriegsmarine und diente dort bis ich 22 wurde. Im Laufe dieser Jahre habe ich einiges über die Märkte gelesen, aber nie eine echte Möglichkeit zum Traden gehabt. Nach meinem Dienst bei der Marine besuchte ich meinen Großonkel. Dabei stellte sich heraus, dass er Rohstoffhändler war und auch im Alter von 76 Jahren immer noch an der Börse aktiv handelte. Ich verbrachte viele Monate bei ihm und er erklärte mir alles über die Märkte und wie sie funktionieren. Er war sehr streng und legte größten Wert auf Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung. Er meinte, dass ich nie wie er selbst traden würde und dass ich meinen eigenen Handelsstil entwickeln müsse. Ich müsse unbedingt an mich selbst und an meine Taten glauben – das gab er mir mit auf den Weg.

Nach meiner Zeit bei ihm kehrte ich wieder nach Hause zurück, um ein Studium an der University of California in Los Angeles (UCLA) zu beginnen. Damals gab es so etwas wie Daytrading noch nicht, es sei denn, man tradete direkt an der Börse. Ich beschäftigte mich daher als langfristiger Positions-Trader an den Futures-Märkten, wobei ich gelegentlich auch am Aktienmarkt investiert war. Ich hatte von meinem Großonkel die klassische Charttechnik gelernt, und der einzige technische Indikator, den ich nutzte, war ein Gleitender Durchschnitt (GD). Ich hatte ein Abonnement beim Dunn and Hargitt-Chart-Service, von dem ich einmal in der Woche eine Reihe von Charts erhielt, die ich mithilfe der in den Zeitungen erscheinenden Kurse täglich aktualisieren musste.

Man konnte damals nur dann ausschließlich vom Handel mit Rohstoff-Termingeschäften leben, wenn man auch über eine Menge Geld verfügte, was bei mir nicht der Fall war. Wenn ich mich recht erinnere, gab es nur wenig ausreichend liquide handelbare Märkte: Mais, Weizen, Soja, Zucker, Schweine, Rinder, Silber, Heizöl und Benzin. Die Trades waren dünn gesät. Es gab keine Aktienindizes, keine Devisenmärkte und keine Zins-Futures. Um die Zeit tagsüber zu nutzen, beschäftige ich mich mit einer Vielzahl von Unternehmen. Dabei konnte ich viel über den Einzelhandel, Import/Export, Versicherungen sowie Computer-Programmierung und -Analyse lernen. Ich habe einen Deo-Automaten erfunden, den wir hergestellt, verkauft und gewartet haben, und uns gehörte auch ein Chemieunternehmen. Drei Mal in meinem Leben lebte ich auf einer Farm und lernte dabei viel über Landwirtschaft. Bis heute bin ich immer noch eng mit dem Land verbunden und liebe fast alles, was die Natur und nicht der Mensch geschaffen hat.

  • Wann haben Sie es so weit gebracht, dass Sie als Vollzeit-Trader arbeiten konnten?

Joe Ross: Im Jahr 1980 kamen drei Dinge zusammen, die es mir ermöglicht haben, Vollzeit-Daytrader zu werden. Ich fand damals einen Daten-Provider namens „The Source“, mit dem man End-of-Day-Daten für ein paar Dollar im Monat herunterladen konnte. Da ich mich mit Computern auskannte, schrieb ich ein Programm, das die Daten von einem Tabellenformat in ein Streaming-Format umwandelte, und konnte so mit einem Programm namens „Micro- force Market Detective“ Charts erstellen. Allerdings brauchte ich noch etwas anderes, und das war die zweite Sache, die 1980 passierte. Epson brachte damals einen PC auf den Markt, der Grafiken bearbeiten konnte. Dadurch konnte jeder Nutzer seine eigenen Charts zusammenstellen und ausdrucken, und zwar von einem Daten-Stream, der in das „Market Detective“-Programm eingespeist wurde. Die dritte Sache, die 1980 geschah, war, dass die Firma „Commodity Quote Graphics“ einen Weg fand, wie man den Epson-Computer nutzen konnte, um Text und Grafiken von einem Live-Daten-Feed zu erstellen. Diese drei Dinge ermöglichten Daytrading. Ich verkaufte meine Firmenanteile und begann dann Anfang 1981 als VollzeitDaytrader an den Märkten zu handeln.


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  • Wie haben Sie damals getradet?

Joe Ross: Damals gab es bereits die Finanzterminmärkte, Devisenmärkte, den S&P 500 und die Gold-Futures. Ich tradete Anleihen, das Britische Pfund, die Deutsche Mark, den Japanischen Yen und den Schweizer Franken sowie Gold. Nachdem ich ja bereits wusste, wie man einen Chart liest, schnitt ich recht gut ab. Mit dem Aufkommen des PCs konnte ich mir all die vielen Indikatoren ansehen, die gerade erfunden wurden. Jedoch waren Indikatoren für mich reine Zeitverschwendung, es sei denn, man konnte sie auf unkonventionelle Weise für ganz bestimmte Dinge einsetzen. Beispielsweise wurde der Commodity-Channel- Index CCI geschaffen, der als Indikator für überkaufte/überverkaufte Phasen diente. Ich nutzte ihn jedoch, um auf diese Weise für eine sehr lange Zeit in einem Trend zu bleiben. Ähnlich funktionierte der Stochastik-Indikator, aber ich nutze ihn nur als Momentum-Indikator.

  • Wie sind Sie durch den Crash von 1987 gekommen?

Joe Ross: Im September 1987 hatte ich kurz nach dem Aufwachen eine Stunde lang Schmerzen. Nach diesen 
 60 Minuten voller Schmerzen bin ich – ohne es zu wissen – zehn Tage lang mit einem Blinddarmdurchbruch herumgelaufen. Ich fing mir dadurch eine Wundinfektion ein, die so massiv war, dass man glaubte, ich könnte sie nicht überleben. Nach drei Monaten im Krankenhaus wurde mir mitgeteilt, dass die Folgen so gravierend seien, dass ich nie wieder gehen und wahrscheinlich auch nicht sprechen könnte, weil man durch einen Schnitt zwischen die Stimmbänder in meinen Kehlkopf einen Beatmungsschlauch eingesetzt hatte. In beiden Fällen lagen die Ärzte falsch. Ich befand mich also als Krankenhauspatient in einem künstlichen Koma, als sich der Crash von 1987 ereignete. So werde ich nie wissen, wie es mir ergangen wäre, hätte ich zu diesem Zeitpunkt getradet.

Als ich Heiligabend 1987 aus dem Krankenhaus entlassen wurde, konnte ich weder gehen noch sprechen. Jeden Tag bin ich die Treppe hinunter in meinen Keller gekrochen und versuchte, an den Märkten zu handeln. Aber ich hatte so starke Schmerzen, dass ich dazu einfach nicht in der Lage war. Jeden Tag dachte ich, dass ich vielleicht den nächsten Tag nicht mehr erleben würde. Meine Frau machte damals den Vorschlag, dass ich alles, was ich wüsste, aufschreiben sollte, damit meine Kinder davon profitieren könnten – für den Fall, dass sie auch in den Börsenhandel einsteigen wollten. Aus dem, was ich aufgeschrieben habe, ist dann mein erstes Buch „Trading by the Book“ entstanden.

  • Wie ging es dann weiter?

Joe Ross: Obwohl ich die Märkte den ganzen Tag beobachtete, musste ich erneut auf den langfristigen Positionshandel und Spread Trading zurückgreifen. Die Schmerzen waren so stark, dass Daytrading für mich zu viel war, und dieser Zustand hielt weitere 4,5 Jahre an. Ab einem gewissen Punkt im Jahr 1988 bis Mitte 1993 war ich körperlich nicht in der Lage, mich als Daytrader zu betätigen. Gleichzeitig hatte ich so genügend Zeit, um zu schreiben und andere Interessenten zu coachen. Üblicherweise nahm ich mir damals drei Tage in der Woche Zeit, Trader zu coachen, die „Trading by the Book“ gelesen hatten. Danach war ich immer so erschöpft, dass ich die nächsten vier Tage im Bett liegen musste. Wegen den Schmerzen musste ich alle paar Tage in die Notaufnahme, bis ein Chirurg endlich feststellte, was den Schmerz verursachte, und diese Ursache entfernte.

Mein Buch führte zu Anfragen bezüglich privater Schulungen. Im Laufe dieser Schulungen wurde mir klar, dass die meisten Menschen, die ihr Glück an der Börse versuchten, keine Ahnung von den Märkten hatten, und auch gar nicht wussten, was sie an der Börse eigentlich machten. Auf einer Reise nach Kalifornien, wo ich einen Arzt entsprechend schulen wollte, war ich einmal so erstaunt darüber, wie wenig er wusste, dass ich angefangen habe, mir Notizen von all den Dingen zu machen, die er wissen sollte.

Ich möchte jetzt etwas sagen, was ich noch nie schriftlich festgehalten habe. Als ich jedes meiner ersten vier Bücher final nochmal durchgelesen habe, entdeckte ich viele Dinge, die mir vorher nicht bekannt waren, obwohl sie in meinen Büchern standen. Jedes dieser Bücher habe ich geschrieben, ohne mir vorher irgendwelche Notizen gemacht zu haben. Die Ideen sind einfach aus meinem Kopf direkt in die Finger geflossen, die den Text auf meiner Tastatur getippt haben.

  • Wie oft haben Sie im Laufe der Jahre Ihre Herangehensweise an die Märkte geändert und warum?

Joe Ross: Das ist eine sehr interessante Frage, weil ich irgendwann aufgehört habe zu zählen. Obwohl die Charts heute noch genauso aussehen wie vor Jahrzehnten, hat man das Managen der Trades ständig anpassen müssen. Die Märkte sind eben quicklebendig und bleiben nie gleich. Also passe ich mein Trade-Management ständig an die Marktgegebenheiten an. Die einzige Konstante bei mir ist die Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung, die ich in den ersten Jahren meines Tradings gelernt habe. Dadurch war ich in der Lage, bei meinem Handel konsequent zu bleiben, und diese Konsequenz hat es mir möglich gemacht, nie den Glauben an mich selbst und an das, was ich mache, zu verlieren. Die unzähligen Stunden, die ich mit der Lektüre und Analyse von Charts verbracht hatte, gaben mir das, was ein Freund von mir „das dritte Auge“ nennt. Nicht selten ändere ich meinen Ansatz von einem Tag auf den anderen, weil ich etwas Bestimmtes sehe. Mein Motto war und ist eben: „Trade, was du siehst, und nicht, was du denkst.“



 

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