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Dow-Theorie: Der Beginn moderner Chartanalyse
Charles Henry Dow ist für die Kapitalmarktanalyse so etwas wie Charles Darwin für die Evolutionsbiologie. Dieser geniale Ökonom hatte erstmals die Idee, mehrere Aktien zu einem Index zusammenzufassen, um dadurch einen volkswirtschaftlichen Indikator zu erzeugen. Somit ist er Namensgeber des Dow Jones Industial Average. Außerdem gründete er Ende des 19. Jahrhunderts das Wall Street Journal, in welchem er über hunderte von Artikeln hinweg seine Gedanken über die Märkte und die Wirtschaft zusammentrug. Leider verfasste er nie ein Buch. Allerdings machte sich die Nachwelt bereits kurz nach seinem Tode daran, die Essenz aus seinen Publikationen zu filtern. Dieses Resultat ist heute als Dow-Theorie bekannt. Sie wird von Vielen als Grundstein der Technischen Analyse gesehen und umfasst sechs Thesen, die im Folgenden kurz dargestellt werden.
DOW-THEORIE - DIE MODERNE CHARTANALYSE
Die Märkte diskontieren alles
Diese erste Prämisse besagt, dass jegliche Information aus der Vergangenheit, der Gegenwart und sogar der Zukunft von den Märkten diskontiert und von den aktuellen Kursen der Aktien oder der Indizes refl ektiert wird. Das schließt alles mit ein: Von den Emotionen der Marktteilnehmer über veröff entlichte Konjunkturdaten oder Unternehmensmeldungen bis hin zu künftigen Erwartungen. Selbst bei absolut unvorhersehbaren Ereignissen wie einem Erdbeben, so die These, sei ein gewisses Risiko auf dessen Eintreten stets eingepreist; und falls ein solches unvorhersehbares Ereignis dann tatsächlich auftritt, reagiert der Markt quasi augenblicklich. Das ist natürlich ein herber Rückschlag für alle Freunde der Fundamentalanalyse, da man, dieser Annahme folgend, keinen Vorteil hinsichtlich der Prognose von Kursen daraus ziehen kann, wenn man intensiv Research betreibt oder Unternehmenskennzahlen vergleicht, weil diese Art von Information in der Regel erstens allen gleichermaßen zur Verfügung steht und sie zweitens, siehe oben, bereits als in die Kurse eingepreist gilt.
Der Markt besteht aus drei Trends
Erst einmal sollten Sie wissen, welche Definitionen und Überlegungen überhaupt hinter dem Begriff „Trend“ stecken. Es ist ja nun so, dass Aktienkurse nie direkt in eine Richtung laufen, sondern in ungeordneten Zick-Zack-Formationen voranschreiten. Mal gibt es Phasen, in denen lange nichts geschieht, dann wiederum bricht der Markt plötzlich stark ein. Trotzdem fand Charles Dow Kriterien, um Trends näher einzugrenzen. Wenn fortlaufend steigende Hochpunkte sich mit ebenfalls fortlaufend steigenden Tiefpunkten abwechseln, liegt ein Aufwärtstrend vor. Sind hingegen fallende Hochs und zudem fallende Tiefs zu beobachten, richtet sich der Trend abwärts. Bild 1 zeigt den DAX über einen langen Zeitraum hinweg als Wochenchart. Markante Hoch- (blau) und Tiefpunkte (orange) sind eingezeichnet. Bis Juli 2003 liegt ein klarer Abwärtstrend vor. Der anschließende Aufwärtstrend dauerte bis Anfang 2008. Dow hingegen unterteilte mögliche Trends in drei Kategorien: Den primären (langfristigen), den sekundären (mittelfristigen) und den untergeordneten (kurzfristigen) Trend. Da Charles Dows Interessenschwerpunkt jedoch auf volkswirtschaftlichen Zusammenhängen lag, hatte für ihn der primäre Trend größte Priorität. Ein primärer Trend hält idealerweise über Jahre an und kann ganz eindeutig gemäß der Trenddefi nition ausgemacht werden (Bild 1). Allerdings erkannte Dow, dass die Bewegungen von einem Hoch zum nächsten Tief, also Korrekturen in einem Aufwärtstrend, ebenfalls Trendcharakter aufweisen und in Form von fallenden relativen Hoch- und Tiefpunkten verlaufen. Dies bezeichnete er als sekundären Trend mit einer Dauer von mehreren Monaten, veranschaulicht dargestellt in Bild 2. Dem untergeordneten Trend, also allen Bewegungen, die innerhalb eines sekundären Trends liegen, schenkte Dow wenig Beachtung. Sie halten in der Regel nicht länger als Tage oder Wochen, unterliegen kurzfristigen Stimmungen am Markt und haben daher wenig volkswirtschaftliche Signifikanz.
Bild 1. Trendtheorie. Sie sehen den DAX auf Wochenbasis und die ihm unterliegenden primären Trends. Bis 2003 befand sich der Markt in einem Abwärtstrend, ab dann ging es wieder langfristig aufwärts. Anfang 2008 stand erneut eine Trendwende an.
Bild 2. Trenddefinition. Hier sehen Sie einen eindeutigen primären Trend mit steigenden Hochs (A, C) und steigenden Tiefs (B, D). Zwischen C und D liegt ein sekundärer Trend, der ebenfalls durch Extrempunkte (c1, c2) gekennzeichnet ist.
Die Phasen des primären Trends
Dow sah einen primären Aufwärtstrend in drei Phasen unterteilt. Nach dem Ende eines Abwärtstrends beginnt er mit der Akkumulationsphase, in welcher sich findige Investoren mit „billigen“ Aktien eindecken (März bis Juli 2003). In Phase zwei, der Phase der öffentlichen Partizipation, steigen immer mehr Marktteilnehmer mit ein, beispielsweise diejenigen, die dem etablierten Trend nachfolgen. Diese Phase dauert längere Zeit an und zeigt sich in einem soliden Aufwärtstrend (ab Juli 2003). Die dritte und letzte Phase ist die Distributionsphase, in der die frühzeitig Investierten ihre Positionen langsam wieder abbauen. Meistens werden diese Langfristpositionen in Phasen der Übertreibung und Blasenbildung abgebaut, wenn überaus euphorische Stimmung herrscht. Vielleicht können Sie sich noch an das Ende der New-Economy-Blase erinnern, ein perfektes Beispiel.
Die Indizes müssen einander bestätigen
Charles Dow war der Ansicht, dass jeder primäre Trend nu dann als solcher betrachtet werden kann, wenn er sich in allen großen Indizes bestätigt. Dow ging dabei von einer engen Korrelation zwischen dem Dow Jones Industrial und dem Dow Jones Transportation Index aus. Die größten Firmen zu Dows Zeit waren die im Transportation Index gelisteten Eisenbahngesellschaften, daher setzte er für eine gesunde Entwicklung voraus, dass beide großen Indizes gleichermaßen einen primären Auf- oder Abwärtstrend bestätigen müssten. Noch heute lassen sich unter Aktienindizes, aber auch unter Rohstoff en oder Währungen Korrelationen ausmachen. Im Jahre 2003 drehten die größten Märkte der Welt gleichermaßen nach oben.
Das Volumen bestätigt den Trend
Außerdem war Dow der Meinung, dass ein vorliegender Trend stets vom Handelsvolumen bestätigt wird. So setzte er voraus, dass die Aufwärtsbewegung in einem Aufwärtstrend grundsätzlich von einem höheren Volumen begleitet werde als zwischenzeitliche Abwärtsbewegungen. Analog dazu sollte der Umsatz in einem Abwärtstrend dann am stärksten sein, wenn die Kurse fallen, und sich bei Gegenbewegungen verringern.
Dow behandelte das Volumen als sekundären Indikator. In vielen Bereichen der Technischen Analyse wird mit dem Volumen gearbeitet, beispielsweise bei Volumenindikatoren. Allerdings ist man sich einig, dass ein Kurssignal, egal welcher Art, mehr Gültigkeit besitzt, wenn es vom Volumen bestätigt wird.
Ein Trend halt so lange an, bis er definitive vorüber ist
Ein Trend hält so lange an, bis er definitiv vorüber ist Wie bereits erwähnt, hat Dow seine Gedanken nie in Buchform gebracht und damit eindeutig geschildert. So verleiht das Wort „definitiv“ seiner letzten These einen gewissen, nicht unstrittigen Spielraum. Welches Signal, welches Kursmuster ist defi nitiv genug, dass man davon sprechen kann, der Trend sei zu Ende? Die direkteste Antwort, die drauf gegeben werden kann, ist: Beim Durchbrechen des letzten großen Extrempunktes, also dem letzten Tief im Aufwärtstrend beziehungsweise Hoch im Abwärtstrend. Bild 3 zeigt zwei derartige Trendwenden.
Bild 3. Trendwenden. Wenn die Kurse ein zuvor ausgebildetes Extremum in einer Gegenbewegung durchbrechen, dann gilt der bis dato vorherrschende Trend als beendet. Im Juli 2003 und im Januar 2008 traten solche „großen“ Signale im DAX auf
Die Dow-Theorie musste sich schon immer die Kritik gefallen lassen, dass bei dieser großzügigen Auslegung erst sehr spät (faktisch im letzten Moment) ein Trendumkehrsignal gegeben wird, und man dadurch nicht selten einen Großteil der Bewegung verpasst. Wieder sei jedoch darauf hingewiesen, dass Charles Dow kein Händler, sondern ein Ökonom gewesen ist. Wieder sei außerdem darauf hingewiesen, dass ein solches Signal bei einem wirklich langfristigen Trend viel mehr Gewicht besitzt.
Und zum Schluss sei auch noch auf Bild 3 und die gegenwärtige Situation hingewiesen. Ja, wir befinden uns in einem Abwärtstrend. Der Aufwärtstrend hat so lange angehalten, bis er definitiv im Sinne der Definition vorüber war. Sehen wir zu, wie es weiter geht. Aber wenn Charles Dow nun gemäß seiner Dow-Theorie zum Handeln angehalten wäre, dann hätte er sich Anfang Januar höchstwahrscheinlich short positioniert. Quelle: Traders' Mag.